Zombieameise

Pinboard Gossip_1: Die Zombie-Ameise

Schauspiel
16. Oktober 2024

Wenn DIE ZOMBIE-AMEISE ein B-Movie-Kultfilm aus den Achtzigern wäre, würde ich ihn mir definitiv anschauen und mich über die marionettenhaften Effekte und knete-artigen, den cenobites nachempfundenen Riesenameisen freuen. Doch im Gegensatz zu ihrer Rolle als Bedrohung im imaginierten Film, spielen sie im realen Leben die des Opfers, und die Gefahr geht von einem Pilz aus: dem Ophiocordyceps unilateralis. 

Wir kennen das Prinzip parasitärer Systeme in der Natur, doch dieses hier könnte -  die damit einhergehende anthropozentrische Perspektive entlarvend – als besonders perfide empfunden werden: Die in den Baumwipfeln lebenden Rossameisen hören nach dem Befall mit Pilzsporen auf, mit ihren Nestgenossinnen zu kommunizieren und werden zusehends hyperaktiv. Im Inneren breitet sich der Pilz aus, bildet ein Netzwerk und befällt das Muskelgewebe und Nervensystem der Ameise. Fremdgesteuert verlässt sie ihr Nest und wandert zu einer bestimmten Stelle: 25 cm über dem Boden, zwischen 20 und 30 Grad, auf der Nordseite eines Baumes. Hier will der Pilz sie haben, hier sind die Bedingungen für sein Wachstum optimal, hier wird ihr Körper zur Hülle. Es folgt – the death grip. Die Ameise platziert sich, beisst sich in ein Blatt. Schliesslich bricht der Fruchtkörper aus der Ameise heraus und wächst weiter, bis zur erneuten Abgabe von Sporen. Die Ameise als Zombie im Dienste des cleveren Pilzes. Adaptive parasite manipulation. 

Fasziniert von diesem Pilz verschlinge ich Internetseite um Internetseite und lande bei National Geographics, wo mich allerdings ein Datenschutzbanner vom Lesen abhaltet. Schon wandert der Zeiger wie ferngesteuert auf den nicht zu übersehenden blauen Button I ACCEPT, aber rechtzeitig klammern sich meine Augen noch an die unauffällige Inschrift oben rechts CONTINUE WITHOUT ACCEPTING. Ich will keine Cookies, schon gar nicht, wenn sie mir von der Walt Disney Company angeboten werden, deren Name ebenfalls auf dem Banner prangt. Nach kurzer Recherche weiss ich, dass Walt Disney im Jahr 2019 grosse Teile von 21st Century Fox und damit auch National Geographics gekauft hat. Wandern meine Daten jetzt zu Walt Disney? Mickey ruft mir zu: Komm zu uns, wir haben Kekse

Und einmal in die Kekskiste gegriffen, setzen sich die Cookies fest. Sie beissen sich in meine Suche rein, sie zählen die Sekunden, die ich auf einer Webseite verbringen, ziehen Fäden von Klick zu Klick und bilden ein Datennetz, über das sie in Verbindung mit einer Instanz stehen, deren Datensammeln dem Optimierungswahn untersteht, welcher nicht zuletzt zum eigenen Wachstum beiträgt. Mein klickender Körper ist ein Wirt, ein Nährboden, eine Hülle, gefüllt mit Informationen, die potenziell nutzbar gemacht werden könnten. Wie der Pilz, kennen die datensammelnden Organe nur ein Ziel: Vermehrung. Es sind Systeme, die für ihre Reproduktion fremde Körper nutzen. Und sie vielleicht gar zu Zombies machen? Der Pilz kämpft dabei um sein Überleben, während die digitale Präsenz kein Ende zu kennen scheint. Denn sie weiss nicht, wie Sterben geht und bleibt blind für die im Verfall begriffene Zerbrechlichkeit. Die Walt Disney Company – hier stellvertretend für viele Unternehmen genannt – sammelt sich, sammelt Daten bis in die Unendlichkeit und kann nicht damit aufhören, kann keine Kontrolle abgeben und vor allem eines nicht: loslassen. Ist sie die Untote in der Gesellschaft oder bin ich es? Dankend schlage ich die Cookies aus, merci vielmol, aber ich bin schon ziemlich satt.