
«Eine klassische Verwechslungskomödie»
«Eine klassische Verwechslungskomödie»
Am 23. Mai ist im Rahmen des Schweizer Theatertreffens «Das komische Theater des Signore Goldoni» in der Regie von Max Merker am Luzerner Theater zu Gast. Im Interview erläutert der Dramaturg Martin Bieri das Stück.
LT: Martin Bieri, Sie sind der Dramaturg von «Das komische Theater des Signore Goldoni». In Carlo Goldonis Werkverzeichnis ist kein Stück mit diesem Namen zu finden. Was hat es mit dem Titel auf sich?
Martin Bieri: «Das komische Theater des Signore Goldoni» besteht aus zwei Stücken Goldonis: dem «Diener zweier Herren» und «Dritter Akt, erste Szene oder Das komische Theater». «Der Diener» ist das am meisten aufgeführten Stück Goldonis, «Dritter Akt» hingegen wird so gut wie nie gespielt. Diese beiden Texte haben wir zu einem einzigen Stück verbunden.
LT: Wovon handelt der «Der Diener zweier Herren» ursprünglich?
Martin Bieri: Es ist eine klassische Verwechslungskomödie: Der geizige Venezianer Kaufmann Pantalone will seine Tochter Clarice verheiraten. Doch die Hochzeit platzt, da plötzlich Federigo Rasponi auftaucht, dem Clarice eigentlich versprochen war, von dem aber alle glauben, er sei tot. Niemand ahnt, dass es gar nicht Federigo ist, sondern dessen verkleidete Schwester Beatrice. Gleichzeitig flüchtet Beatrices Liebhaber nach Venedig, um sich hier zu verstecken, weil er des Mordes an Beatrices Bruder verdächtigt wird. Womit die grosse Verwirrung beginnt. Im Zentrum des Reigens steht aber Truffaldino, der so arm ist, dass er sich gezwungen sieht, mehrere Jobs gleichzeitig anzunehmen. So wird er zum Diener zwei Herren, die sich suchen, und doch nichts voneinander wissen dürfen.
LT: Truffaldino ist eine Narrenfigur. Er gleicht dem Harlekin.
Martin Bieri: Ja, Truffaldino gehört der Klasse der Zanni an, den Knechten und Clowns der Commedia dell’arte. Er ist eine der unzähligen Verkörperungen des Arlecchino im Flickenkostüm, dieser unfass-, ungreif-, unzähmbaren Jokerfiguren des europäischen Theaters.
LT: Und worum geht es in «Dritter Akt, erste Szene oder Das komische Theater»?
Martin Bieri: Es handelt von einer Theatergruppe, die versucht, ein neues Stück zu proben. Das Problem: Alle haben eine andere Vorstellung davon, wie es aussehen soll. Der Dichter will seine neusten Gedichte unterbringen, die Sängerin ein Lied, obwohl Musik auf der Bühne ausser Mode ist und die alten Schauspieler würden am liebsten alles so machen wie immer und vor allem: keine neuen Texte lernen.
LT: Keinen neuen Text lernen? Textlernen ist doch selbstverständlich im Theater, oder nicht?
Martin Bieri: Goldoni hat auch sich in den Text hineingeschrieben und zwar in Form des Theaterdirektors, der einen neuen Stil durchsetzen will. Dieser neue Stil basiert auf literarischen Texten, psychologisch ausgearbeiteten Charakteren und tiefsinnigen Dialogen – Ideen, die Goldoni im realen Theater seiner Zeit verwirklicht sehen wollte. Er stellte sich damit gegen die Aufführungspraxis der Comedia dell’arte, die auf Improvisation, typisierten Figuren, Artistik und derbem Witz aufbaute. In unserem Stück tritt eine fahrende Theatertruppe vor das Publikum und versucht, «Diener zweier Herren» zu spielen, allerdings mit zu wenig Leuten und dann tritt auch noch Goldoni selber auf, um zu erklären, wie man es besser machen sollte.
LT: Wer hat recht?
Martin Bieri: Schwer zu sagen. Die Frage, was wichtiger ist im Theater, der Text oder das Spiel, beschäftigt uns noch heute, eigentlich auf jeder Probe. Und idealerweise fügen sich die beiden ja in eins. Dass wir zu wenig Leute für den «Diener zweier Herren» haben, ist übrigens auch real. Das Stück ist ziemlich überlaufen. Wir haben daraus ein Prinzip gemacht. Alle auf der Bühne spielen mehrere Figuren. Nicht einem, sondern vielen Herren dienen zu müssen, gilt für alle. Das ist philosophisch zu verstehen: Das Individuum ist nicht ungeteilt. Nicht nur Truffaldino kann nicht mit sich selbst identisch sein, niemand ist es.